Jagddiskussion

Das haben auch gute Kenner der Schweizer Jagdszene nicht vorausgesehen: dass sich am zweiten Tag der abwechslungsreichen Ausstellung «Fischen Jagen Schiessen» in Bern, mitten im Nachmittag, ein grosser Saal bis fast auf den letzten Platz füllt, weil JagdSchweiz, der Gastkanton Aargau und der CIC gemeinsam über Biodiversität diskutieren - und vor allem darüber, wie man diese hehren Ziele unter den Bedingungen der schweizerischen Alltagspolitik bei den Jägern zum Fliegen bringt.

 

Podium

Nicht nur Interesse, sondern Ernsthaftigkeit und eine schöne Offenheit für andere Sichtweisen kennzeichneten die eineinhalbstündige Veranstaltung. Vier kurze Impulsreferate markierten die Positionen der wichtigen «Mitspieler» - nachher wurden die Standpunkte unter der Leitung von J&N-Chefredaktor Karl Lüönd auf einem Podium besprochen, wobei das Publikum wichtige Beiträge lieferte. Das alles passierte in bester Diskussionskultur - es war ein rundum erfreulicher Nachmittag.


Reinhard Schnidrig, Sektionschef Jagd/Fischerei/Waldbiodiversität im BAFU arbeitete die Schnittstellen (und möglichen Konfliktfelder) zwischen Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Gesellschaft heraus, die sich bei der Durchsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips stellen. Wildschaden und Grossraubtiere stehen im Vordergrund. Zu den Vorgaben vom Bund her, die Schnidrig hervorhob, gehören die Kompartimente für das Grossraubtier-Management. Ausscheidung von Wildschutzgebieten und Intervalljagd sind da die Themen. Das politische Engagement der Jäger ist unentbehrlich, wenn es um den Schutz der Lebensräume, die Ausscheidung von Wildruhezonen und die Förderung von Wildtierpassagen geht.


Wie ein übernutzter Mittellandkanton die Biodiversität durchsetzt, erläuterte Dominik Thiel, Fachspezialist bei der Sektion Jagd und Fischerei des FJS-Gastkantons Aargau an den Beispielen der Aufwertung der Biber-Biotope und an den Lebensraum-Schutzmassnahmen für den Mittelspecht, eine Rote-Liste-Art. Von den alljährlich 1,2 Millionen Franken Jagdpacht-Einnahmen im Aargau wird sollen in Zukunft ein Viertel für die Lebensraum-Aufwertung ausgegeben werden. Dazu gehörenZusätzlich ist der Bau von vier wichtigen Grünbrücken bis 2018 geplant.


Marco Giacometti, Geschäftsführer von JagdSchweiz, präsentierte, was Jagd und Jäger bereits heute zur Biodiversität beitragen: Pflege und Erhaltung der Lebensräume, Erhaltung der einheimischen Arten durch Schutz und Regulierung (z.B. Feldhase!), Hinwirkung auf die wildtiergerechte Gestaltung von Freizeitaktivitäten, Bekämpfung ortsfremder Arten. Nach vorsichtigen Schätzungen leisten die Schweizer Jäger alljährlich 260 000 freiwillige Arbeitsstunden und 28 Millionen Franken direkte Beiträge in die Staatskassen.


Mirjam Ballmer, Projektleiterin bei Pro Natura, wünschte sich von den Jägern mehr politisches Engagement bei den Kernfragen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Raumplanung. Als Vorbild nahm sie das Engagement des Schweizerischen Fischereiverbandes bei der Gewässerschutzinitiative. Bisher haben die jagenden Parlamentarier grossenteils nicht einmal 50 % des «Umwelt-Ratings» von Pro Natura erfüllt.


Hier knüpfte Podiums-Leiter Karl Lüönd an: Ist es ein Zufall, dass die Schützerszene vor allem in rot-grünen, die Nutzerszene (zu denen auch die Jäger gehören) aber vor allem auf der bürgerlichen Seite politische Unterstützung finden? Hanspeter Egli, Präsident von JagdSchweiz, erklärt sich dies vor allem mit der vorherrschenden ländlichen Struktur bei den Jägern. Einig war sich das Podium aber auch darüber, dass die oft benutzte Ausscheidung von Schützern und Nutzern eigentlich widersprüchlich sei; jeder Mensch ist fast immer beides. Daniel Leu, Präsident von Jagd Schaffhausen, zeigte, spontan aufgefordert vom Diskussionsleiter, am Beispiel der Schaffhauser «Allianz», wie die althergebrachten politischen und mentalitätsmässigen Gegensätze zugunsten gemeinsamer Ziele aufgebrochen werden können.

 

Jagd und Natur, 22. Febr. 2012, Karl Lüönd