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az, 26. Januar 2011 / Urs Moser 

 

 

Der Hirsch ist willkommen, im Prinzip

 

Ansiedlungspolitik

 

Interessen von Naturschutz und Forstwirtschaft unter einen Hut bringen

 

Letzte Woche wurde im Bernbiet eigens ein Bustransport organisiert, um ein Tier sicher über die Autobahn ins Solothurnische zu befördern. Während die umliegenden Kantone

den Cervus elaphus, den Rothirsch, pfleglich behandeln, um seine Ansiedlung im Mittelland zu fördern, scheint das stattliche Tier im Aargau zu polarisieren. SVP-Grossrat und Förster Richard Plüss (Lupfig) zum Beispiel zeigt keine besondere Begeisterung

ob der Aussicht, dass auch hier die Hirsche wieder röhren könnten. Präventiv fragt er bei der Regierung an, wer denn für Verbissschäden in fünf- oder sogar sechsstelliger Höhe aufkommen würde, wenn die Jagdgesellschaften nicht mehr zahlen könnten. Und welche Sanktionen man umzusetzen gewillt sei, wenn die Jagdvereine den Rothirsch nicht schiessen und «dadurch ihrer jagdlichen Pflicht nicht nachkommen».

 

Schonung angeordnet

In der Tat hat in der Hirschfrage ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Bis vor kurzem war   die offizielle Politik auf die Optik der Forst- und Landwirtschaft ausgerichtet und die Jäger angehalten abzudrücken, falls ihnen ein Hirsch vor die Flinte gerät. Man wollte das vor 200 Jahren beinahe ausgerottete und heute vor allem in Bergregionen lebende Tier lieber vom Mittelland fernhalten, denn der stattliche Hirsch richtet natürlich weit gröbere Schäden an als das viel kleinere Reh.

 

Nun hat aber die Sektion Jagd und Fischerei der kantonalen Abteilung Wald letztes Jahr die Schonung der im Aargau bislang äusserst selten gesichteten Wildtierart angeordnet. Nachdem die umliegenden Kantone den König der Wälder schützen, ist die Frage weniger ob, sondern wann er sich auch im Aargau wieder stärker verbreitet, falls man ihn lässt.

 

Diese Perspektive schien dann auch Jagdkreisen reizvoll: In einer Umfrage von Pro Natura unter den 127 Jagdrevieren sprachen sich 2009 fast 90 Prozent der Jäger für einen freiwilligen Jagdverzicht aus, um dem Hirsch wieder eine Chance zu geben. Demnächst soll nun ein Konzept für das Management eines künftigen Rothirschbestands in Aargauer Wäldern präsentiert werden. Der kantonal abgestimmte Massnahmenplan werde in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Verbänden und Fachstellen erarbeitet, teilt die Regierung in der Beantwortung der Interpellation des besorgten Försters Plüss mit. Der Massnahmenplan soll ab August, zu Beginn der Jagdzeit, wirksam werden. Vertretungen von Forst- und Waldwirtschaft würden zu gegebener Zeit in die Arbeit eingebunden, wird versichert. Aktuell lägen ihre  tellungnahmen zu Chancen und Risiken einer  Hirschpopulation noch nicht vor.

 

Keine aktive Ansiedlungspolitk

Wie man sich die «Hirschpolitik» in etwa vorstellt, hat Jagdverwalter René Urs Altermatt gegenüber der az schon 2009 skizziert: Sich hier wohlfühlende Wildtiere heisst der Aargau

willkommen, er betreibt aber nicht unbedingt eine aktive Ansiedlungspolitik. Das heisst, man denkt nicht unbedingt daran, den Hirsch konsequent unter Schutz zu stellen. Würde

eine Population zu grosse Waldschäden verursachen, wäre auch wieder an gezielte Abschüsse zur Eindämmung zu denken. Die Regierung verweist hier sogar ausdrücklich auf die «jagdlichen Verpflichtungen» einer Jagdgesellschaft: Übersteigt die Abgeltung von Schäden drei Viertel des Jahrespachtzinses, sind «Massnahmen zur  Schadenminderung» aufzuzeigen.

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AARGAUER ZEITUNG    Mi, 26. Januar 2012    Urs Moser